Die durch die Hölle gehen

The Deer Hunter

Michael Cimino, USA 1978

The Deer Hunter erzählt die Geschichte dreier Freunde, Michael, Nick und Steven, drei Stahlarbeiter aus Clairton, Pennsylvania. Der Film beginnt mit einer langen Sequenz im Stahlwerk. Die Arbeit bei der Stahlschmelze wird geschildert wie eine Kriegsszene. Die Arbeiter sind in ihren roboterhaften Schutzanzügen uniformiert wie Soldaten, das Feuer lodert auf, die Werkssirene klingt wie Fliegeralarm. Für drei der Arbeiter – Michael, Nick und Steven – sind es die letzten Tage vor der Einberufung nach Vietnam, denn sie haben sich freiwillig gemeldet. Steven heiratet noch vor der Abberufung Angela. Von ihrer Hochzeit, die gemäß der Herkunft der Familien nach russisch-orthodoxem Ritus gefeiert wird, handelt der erste Teil des Films vornehmlich. Linda, Nicks Freundin, fängt den Brautstrauß und verlobt sich am selben Abend noch mit Nick, obwohl sie sich auch zu Michael hingezogen fühlt. Nick gesteht Michael, wie sehr er die Stadt und seine Freunde liebt, und bittet Michael, ihn auf keinen Fall in Vietnam zu lassen, falls ihm etwas passiert. Am nächsten Morgen fahren die Freunde mit anderen jungen Männern in die Berge, um Hirsche – Deer – zu jagen.

Martialische Bilder vom Proletarier an der Werkfront. Cimino inszeniert die Fabrikarbeit wie eine Kriegsszene.

Der zweite Teil beginnt mit einer Kriegsszene im vietnamesischen Dschungel. Michael tötet einen nordvietnamesischen Soldaten, der zuvor Zivilisten massakriert hat. Nick und Steven bergen ihn mit dem Hubschrauber, doch in seinem kriegerischen Tunnelblick erkennt er sie kaum. In der nächsten Szene sind sie in Kriegsgefangenschaft. Sie werden in einem Verschlag gefangen gehalten. Die Vietcong-Wächter holen einen nach dem anderen nach oben und zwingen sie mit vorgehaltenen Gewehren zum Russisch-Roulette. Dabei wetten sie darauf, wer als nächstes stirbt. Wer sich weigert, wird in einen hölzernen Käfig unter Wasser gesperrt, zusammen mit Leichen und Ratten, um dort qualvoll zu sterben. Als Michael und Nick an der Reihe sind, überredet Michael die Wärter, drei Patronen in die Trommel des Revolvers zu laden. Damit verdreifacht sich das Risiko zu sterben, aber sie hätten dann die Chance, drei Wachen zu erschießen, den anderen die Waffen zu entreißen und sie zu töten. Der Plan gelingt, sie befreien Steven und lassen sich flussabwärts treiben, wo sie von einem Hubschrauber geborgen werden, an dessen Kufen sie sich klammern. Steven kann sich nicht festhalten und stürzt in den Fluss. Michael springt hinterher und kann ihn retten, doch weil Steven beim Sturz ins Wasser auf einem Felsen geschlagen ist, hat er sich beide Beine gebrochen. Nicht nur Steven, auch Nick landet im Lazarett, denn er ist infolge des Russisch-Roulette schwer traumatisiert.

Russischstämmige Amerikaner spielen Russisch-Roulette. Die eindringliche Metapher über das absurde Grauen des Krieges hat Filmgeschichte geschrieben.

Der dritte Teil erzählt von der Rückkehr. Michael ist hochdekoriert und wird von seinen alten Freunden freundlich empfangen, kann sich jedoch nicht wieder eingliedern: Der Willkommensparty weicht er aus, eine Affäre mit Linda ist von beiderseitigem Schmerz überfrachtet, beim Jagdausflug setzt er einem seiner Freunde einen Revolver zum Russisch-Roulette an den Kopf und drückt ab. Steven hat beide Beine verloren und lebt in einem Heim für Kriegsinvaliden. Er bekommt regelmäßig Geld von Nick, der nicht aus Vietnam zurückgekehrt ist und als verschollen gilt. Michael begibt sich nach Saigon, wo er Nick findet, der in einem illegalen Casino regelmäßig Russisch-Roulette spielt. Er scheint geistig weggetreten und erkennt Michael nicht. Um die Erinnerung wachzurufen, spielt Michael mit ihm Russisch-Roulette. Wieder setzt er sich die Pistole an den Kopf und drückt ab, doch die Kammer ist leer. Tatsächlich erkennt Nick ihn. Dann setzt er sich die Pistole an den Kopf und erschießt sich.

The Deer Hunter zeigt in eindringlicher Weise, was der Krieg den Kriegern antut, den Soldaten, die an Leib und Seele versehrt zurückkehren und kein normales Leben mehr aufnehmen können. Der Krieg, um den es hier geht, ist der Vietnamkrieg. Ein Stellvertreterkrieg, den die Amerikaner nicht aus Angst vor den Vietnamesen geführt haben, sondern um den Einfluss der Sowjetunion, dem Verbündeten des Vietcong, zurückzudrängen. Hinter dem kleinen kommunistischen Nordvietnam steht die kommunistische russische Supermacht. Um deren Expansion einzudämmen, ließ sich Amerika auf diesen irrsinnigen und schrecklichen Krieg ein. Der Film tut alles, um die im Film gezeigten Amerikaner dem großen Feind in Lebensweise und Habitus so ähnlich zu machen wie nur möglich. Es handelt sich um russischstämmige Stahlarbeiter, also echte Proletarier. Eigentlich genau jene Menschen, deren Lage der Kommunismus verbessern will. Und ihre Kleinstadt ist so arm und so schäbig und so kalt, dass sie genauso gut in Sibirien liegen könnte. Der Russlandbezug dient nicht nur dazu, die Kriegs-Metapher des Russisch-Roulette zu verstärken, sondern auch, eine Identifizierung mit dem großen Feind herzustellen, der in Vietnam stellvertretend bekämpft wird.

Ist das Pennsylvania oder ist das Sibirien? Die amerikanische Kleinstadt Clairton wird durch Handlung und Bildsprache russifiziert.

Diese Anähnelung von Freund und Feind zeigt zum einen die Absurdität des Krieges, zum anderen deutet sie auf die Grundintention des Films hin: Indem der Soldat im Krieg die Menschlichkeit verliert, wird er selbst sein größter Feind. Er kann fortan nicht mehr als Mensch unter Menschen leben, sein Zuhause ist nun der Krieg. Die im Film am eindringlichsten geschilderte Bedrohung wird von den jungen Männern an sich selbst verübt in Form des Russisch-Roulette. Erst unter Zwang, später freiwillig. Diese Schlüsselszene im Film, eben jene an Intensität kaum zu überbietende Russisch-Roulette-Sequenz dominiert dramaturgisch den mittleren Teil und auch den gesamten Film: sowohl hinsichtlich des Suspense-Gehalts wie auch hinsichtlich der symbolischen Verdichtung – Russisch Roulette als Metapher des Krieges. Warum nimmt sich der Film für den ersten und dritten Akt dann fast genauso viel Zeit? Fast jeder Zuschauer des Films stellt sich die Frage, warum ein Film, dessen Thema und Anliegen der Krieg ist, kaum im Krieg spielt.

Die Frage beantwortet sich, wenn man den Titel eingehender betrachtet. The Deer Hunter ist phonetisch identisch mit `The Dear Hunter´. Und dann erschließt sich die ausführliche Schilderung der Freundschaft der jungen Männer, für deren Stärken und Schwächen, für deren Ängste und Torheiten sich der Film im ersten Teil so viel Zeit nimmt, in dem sie vor allem als eine liebenswerte Jagdgemeinschaft, ein jeder von ihnen als `dear hunter´ geschildert werden. Diese jungen Männer ziehen in den Krieg und müssen dort Menschen töten, die ihnen vermutlich gar nicht unähnlich sind, die in Friedenszeiten ebenfalls liebenswerte junge Männer sind. Dann hat die phonetische Übereinstimmung von deer und dear einen anderen Sinn, indem das dear nicht adjektivisch, sondern substantivisch zu verstehen wäre. Primär ist aber noch eine andere Bedeutung, bei der das dear sowohl substantivisch wie adjektivisch zu verstehen ist. Dann ist mit `The Dear Hunter´ die Figur des von Robert de Niro verkörperten Michael gemeint. Er ist in dem Film nicht nur ein leidenschaftlicher, geradezu verbissener Jäger von Hirschen, sondern er ist genauso getrieben von der Jagd nach denen, die ihm lieb und teuer (dear) sind, also seinen Freunden, allen voran sein bester Freund Nick, gespielt von Christopher Walken.

Diese Bedeutung von `dear´ dürfte im Vordergrund stehen. Obgleich der Film sich viel Zeit nimmt, das Schicksal von Steven und Nick zu schildern, steht Michael alias Robert de Niro im Vordergrund. Er hat die meisten Großaufnahmen, durch sein Handeln werden die Geschichten der übrigen Protagonisten miteinander verknüpft. Bei den Jagdszenen ist er es, der dem Hirsch am nächsten kommt. Er ist The Deer Hunter bzw. `The Dear Hunter´, in dem Sinne, dass er alles tut, um seine Freunde zu retten, sie nicht aufgeben will und mehrfach sein Leben für sie riskiert. Dabei tut Robert de Niro alles, um diesen lieben Jäger möglichst unsympathisch erscheinen zu lassen: Dominant, kalt, aggressiv und unnachgiebig. Auf der äußeren Ebene wird diese Charakterzeichnung noch unterstrichen durch den kurzen Bart, wodurch sein strenger Habitus noch stärker betont wird. Bei der Hochzeit legen alle jungen Männer das Jackett ab, nur Michael nicht. Zur anschließenden Jagd torkeln die anderen noch im schwarzen Smoking, bis auf Michael, der immer korrekt uniformiert ist. Dies dient einerseits einer realistischen Figurenzeichnung – mutige Soldaten sind eher harte und konzentrierte Menschen –, andererseits sollen all seine Versuche, die Freunde zu retten, weniger als ein Akt des Heroismus gezeigt werden, sondern als zwanghaftes Verhalten eines Menschen, dessen Seele im Krieg geblieben ist und der daher mit dem Schicksal seiner Kameraden nicht abschließen kann.

Um den lieben Jäger bzw. den Jäger der Lieben zu schildern, braucht der Film die drei Akte: Erstens die Schilderung der Freundschaft, zweitens die Traumatisierung, drittens die Suche bzw. die Jagd nach dem verlorenen Freund. Diese Geschichte des Dear Hunters ist in ihrer Vergeblichkeit Michael Ciminos Vermächtnis über den Krieg. Die vom Krieg gezeichneten jungen Männer verlieren alles, was ihnen lieb und teuer ist. Wie diese invalidisierten Männer nicht mehr `in Frieden leben können´, erzählt der Film am nachhaltigsten am Beispiel von Michael, der an Körper und Gemüt scheinbar unversehrt als Kriegsheld zurückkehrt. Obwohl er keine sichtbaren Verletzungen davongetragen hat, obwohl er also Glück gehabt hat, kann er sich nicht mehr in die Gemeinschaft seiner Freunde einfügen – sinnfällig illustriert in der Uniform, die er auch im Zivilleben trägt. Wenn der Krieg Steven die Beine und Nick den Verstand geraubt hat, hat er Michael seine Seele genommen.

Bibliographie (Auswahl)

Arns, Alfons Maria: Amerikanische Illusionen – Eine Filmanalyse zu Michael Ciminos The Deer Hunter. In: Kino und Krieg. Von der Faszination eines tödlichen Genres. GEP u. Evangelischer Akademie Arnoldshain (Hg.). Frankfurt am Main 1989 (Arnoldshainer Filmgespräche, Bd. 6).
Bach, Steven (September 1, 1999). Final Cut: Art, Money, and Ego in the Making of Heaven's Gate, the Film That Sank United Artists (Updated 1999 ed.). New York, NY: Newmarket Press.
E. M. Corder: Die durch die Hölle gehen. Roman mit Fotos nach dem Filmdrehbuch. Goldmann, München 1979, (OT: The Deer Hunter).
Deeley, Michael (April 7, 2009). Blade Runners, Deer Hunters, & Blowing the Bloody Doors Off: My Life in Cult Movies (Hardcover ed.). New York, NY: Pegasus Books.
Grob, Norbert: Die durch die Hölle gehen. In: Thomas Klein, Marcus Stiglegger, Bodo Traber (Hrsg.): Filmgenres. Kriegsfilm. Reclam, Stuttgart 2006, S. 249–256 [mit Literatur].
Longworth, Karina: Meryl Streep: Anatomy of an Actor. Phaidon Press. (2013).
Mitchell, Robert (writer); Magill, Frank N. (editor) (1980). "The Deer Hunter".
Parker, John (2009). Robert De Niro: Portrait of a Legend. London, England: John Blake Publishing.

Abbildungsnachweis

Die Abbildungen stammen aus Die durch die Hölle gehen, USA 1978, Paul Gregory Productions. Regie: Michael Cimino. Kamera: Vilmos Zsigmond. Drehbuch: Michael Cimino, Deric Washburn. Produktion: Michael Cimino, Michael Deeley, John Peverall, Barry Spikings. Kinowelt Home Entertainment GmbH. Ein Unternehmen der Kinowelt Medien AG.

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