Das Schweigen der Lämmer

The Silence of the Lambs

Jonathan Demme, USA 1991

Thriller, zumal Thriller über Serienkiller beginnen gerne mit einem Leichenfund oder mit der Schilderung eines Mordes. Nicht so bei Das Schweigen der Lämmer. Stattdessen sieht man die von Jodie Foster gespielte Clarice Starling durch den Wald des FBI-Ausbildungszentrums in Quantico joggen. Aber auch hier beschwören Kameraführung und Musik eine Atmosphäre der Gefahr. Eine junge Frau läuft allein durch einen von Nebelschwaden durchzogenen Wald: Ihr Lauf über den Trainingsparcours ist so in Szene gesetzt, dass den Zuschauer das Gefühl einer Bedrohung der Frau beschleicht. Was es mit dieser Bedrohung genau auf sich hat, ist das Thema des Films.

Clarice Starling beim Joggen auf dem FBI-Trainingsgelände in Quantico. Die Szene suggeriert eine Atmosphäre der Bedrohung für die junge Frau.

Vordergründig ist es die Gefährdung ihrer psychischen Integrität. Denn bei der Jagd nach dem geisteskranken Serienkiller Buffalo Bill – von den Zeitungen so getauft, weil er seine ausschließlich weiblichen Opfer eine Weile am Leben lässt, ehe er sie umbringt und häutet – lässt sie sich auf ein riskantes Spiel mit dem inhaftierten Psychiater Hannibal Lecter ein. Hannibal the cannibal ist gleichfalls ein Serienmörder, ein überaus grausamer Psychopath, der seine Opfer zu verspeisen pflegte, darüber hinaus aber ein genialer Psychologe, von dem das FBI sich Unterstützung bei der Suche nach Buffalo Bill erhofft. Lecter bietet seine Hilfe an, wenn Starling ihm im Gegenzug von ihrer Kindheit berichtet. Dieses schon in der Romanvorlage von Richard Harris angelegte Motiv wird im Drehbuch von Ted Tally und der Regie von Jonathan Demme zum zentralen Handlungselement verdichtet, indem die Suche nach dem Täter, die Suche nach dem Bösen mit der Psychoanalyse der Ermittlerin, also derjenigen Person, die das Böse sucht, analogisiert wird.

Instinktsicher seziert der von Anthony Hopkins verkörperte Hannibal Lecter die Seele der jungen Frau. Hypnotisch in die Kamera blickend mit eindringlicher Stimme sprechend fördert er mit wenigen Fragen das Kindheitstrauma von Clarice Starling hervor: Nach dem gewaltsamen Tod ihres Vaters, ebenfalls Polizist, kam sie zu ihrem Onkel, auf dessen Bauernhof Lämmer geschlachtet wurden. Das kleine Mädchen versuchte vergeblich, die Lämmer zu befreien, wollte anschließend wenigstens eines retten, indem sie mit ihm floh. Doch das Kind wurde aufgegriffen und vom erbosten Onkel in ein Kinderheim gesteckt – das Lamm wurde geschlachtet. Bis heute verfolgt sie nachts das Schreien der Lämmer und Hannibal Lecter erschließt, dass sie sich erhofft, ihr Kindheitstrauma zu überwinden, wenn sie Catherine Martin, das jüngste Entführungsopfer von Buffalo Bill, rettet und den Killer unschädlich macht. Zudem würde es für die überaus ehrgeizige junge Polizistin einen Karrieresprung bedeuten: Das Waisenkind aus einfachen Verhältnissen ersehnt den sozialen Aufstieg, wie Lecter sofort errät. Er verspricht, ihr dazu zu verhelfen, wenn sie ihm eine „Aussicht“, eine Verlegung in ein anderes Gefängnis, verschafft. Somit gehen die karrierebewusste Frau und der bösartige Psychopath einen Pakt ein – eine klassische `Die Schöne und das Biest´-Konstellation.

In der Folge gerät die FBI-Agentin Clarice Starling in einen Konflikt mit Dr. Frederick Chilton, der Hannibal Lecter in seiner psychiatrischen Anstalt verwahrt. Der publicitysüchtige Chilton konkurriert mit ihr darum, sich Lecters Hilfe bei der Jagd nach Buffalo Bill zu bedienen. Lecters Gunst gilt dabei Clarice Starling, die er mit Ermittlungstipps in Form verschlüsselter Hinweise unterstützt. Hier fallen die Schwächen des Drehbuchs auf, weil nicht wirklich aufgelöst wird, woher Lecter über Buffalo Bill so gut Bescheid weiß, der in der Romanverlage sein ehemaliger Patient war. Der Film gibt das nicht eindeutig zu erkennen. Dies bewirkt den Eindruck, die erfolgreiche Tätersuche basiere vor allem auf der telepathisch anmutenden psychiatrischen Genialität Lecters, wodurch seine Gestalt magischer und somit unheimlicher erscheint. Wohl ein beabsichtigter Effekt, passt er doch zu dem Unterfangen von Drehbuchautor und Regisseur, die auf eine Intensivierung des psychoanalytischen Aspekts abzielen, indem sie die Ermittlungsarbeit von Chefprofiler Jack Crawford und seiner Agentin Clarice Starling viel stärker als in der Romanvorlage auf psychologischen Taktiken basieren lassen. Zum Beispiel wenn Lecter seine tiefgründigen Botschaften beständig in Form von Annagrammen von sich gibt, erscheint alles als ein Rätsel des Unbewussten, was es dann zu analysieren gilt.

Jener starken Betonung des psychoanalytischen Aspekts entspricht die beständige Überlagerung der Krimihandlung mit den Rückblenden in die Kindheit der Ermittlerin, wobei ganz auf die Suggestivkraft der Bilder vertraut wird, indem die Handlung in der optischen Umsetzung und den mitunter absurd anmutenden Szenen sich phasenweise wie in einem Traum darstellt, wodurch eine Atmosphäre des Unheimlichen erzeugt wird, die dem Zuschauer in die Seele kriecht. Dass Ermittlungsarbeit und Rückblenden teilweise gleichermaßen surreal inszeniert werden, verdankt sich dem zentralen Kunstgriff von Drehbuch und Regie, Tätersuche und Psychoanalyse der Ermittlerin miteinander zu verschmelzen. Dies gipfelt in der Entdeckung der von Buffalo Bill gefangen gehaltenen Catherine Martin, die – halbnackt mit einem weißen Pudel, den sie zu sich ins Verlies gezogen hat – an die kleine Clarice Starling mit dem Lamm erinnert. Der Blick auf die geschundene Frau ist zugleich ein Blick in die eigene traumatische Vergangenheit der Ermittlerin.

Catherine Martin mit einem weißen Pudel, den sie zu sich ins Verlies gezogen hat erinnert an die kleine Clarice Starling mit dem Lamm. Der Blick auf die geschundene Frau ist zugleich ein Blick in die eigene traumatische Vergangenheit der Ermittlerin.

Der Antrieb des geisteskranken Frauenmörders Buffalo Bill ist die Metamorphose. Als Symbol dieser Transformation steckt er seinen Opfern einen Falter in den Hals. Wenn er den ermordeten Frauen die Haut abzieht, um sich eine weibliche Hülle daraus zu schneidern, dann ist sein Ziel die Überwindung der eigenen (geschlechtlichen) Identität. Er will ein Anderer werden. Dies hat er in gewisser Weise mit der ihn jagenden Clarice Starling gemeinsam, die durch den so innig ersehnten beruflichen Aufstieg ihre soziale Herkunft überwinden möchte, was ihr mit Lecters Unterstützung gelingt. So wie Lecter der Agentin Starling zum Erfolg verhilft, so erlangt Lecter seine angestrebte „Aussicht“. Nach einem ebenso blutigen wie spektakulären Ausbruch, nimmt er nach der zurückerlangten Freiheit sein mörderisches Leben wieder auf. Damit endet der Thriller.

Der Film transzendiert die literarische Suspense-Vorlage, die nichts Anderes als ein raffinierter Krimi ist und auch nichts Anderes sein will, nicht nur in der starken Betonung psychoanalytischer Motive. Ein weiterer Aspekt, in dem Drehbuch und Regie sich deutlich vom Roman unterscheiden, ist der feministische Unterton, der sich durch den gesamten Film zieht. Gleich zu Anfang quält sich die junge Nachwuchsagentin beim Training mit aller Anstrengung ein Seil hinauf und mit diesem Bild gibt der Film sein eigentliches Thema zu erkennen: Eine Frau will nach oben. Wenig später fährt sie auf dem Weg zum Vorgesetzten in einem Fahrstuhl aufwärts voll mit großgewachsenen Männern in roten T-Shirts, womit ihre Ausnahmesituation bildlich suggestiv in Szene gesetzt ist: Die Schwierigkeiten der beruflichen Selbstbehauptung der Frau in einer Männergesellschaft. Der ehrgeizigen Agentin Starling wird immer wieder die berufliche Anerkennung versagt, verbunden mit einer Stigmatisierung ob ihres Geschlechts. Sowohl Hannibal Lecter wie auch Doktor Chilton oder die Polizisten beim Leichenfund bringen der jungen Frau demonstrative Geringschätzung entgegen; beständige sexuelle Anmache der Hauptfigur ist im Film ein ebenso beiläufiges wie wiederkehrendes Motiv. Männer werden immer wieder als aufdringlich dargestellt, ihre Annäherungsversuche werden ausnahmslos als unerwünscht geschildert, ob es sich dabei um männliche Jogger beim Training handelt, einen männlichen Passagier auf dem Flugplatz, den sich selbst in jeder Hinsicht überschätzenden Doktor Chilton oder den geisteskranken Mitgefangenen von Hannibal Lecter, `den multiplen Miggs´, der Clarice Starling sein Sperma in Gesicht schleudert. Sogar der Insektenforscher Noble Pilcher, in dessen Armen die FBI-Agentin auf der letzten Seiten der Romanvorlage Entspannung findet, wird im Film als schielender Kretin lächerlich gemacht. Die Aufklärung des Falles, also die korrekte Deutung der Hinweise von Hannibal Lecter erfolgt im Gespräch von Clarice Starling mit einer Frau, ihrer Kollegin Ardelia Mapp. Männer hingegen werden oft genug als überflüssig oder sogar störend dargestellt: nur weil Clarice Starling sich gegen die Männer in ihrer Umgebung behauptet, kann sie sich überhaupt entfalten und erfolgreich sein.

Allein unter Männern – Clarice Starling im Fahrstuhl: Eine Frau will nach oben.
Der Insektenforscher Noble Pilcher – in der Romanvorlage der Liebhaber von Clarice Starling – wird im Film als schielender Kretin lächerlich gemacht.

Die Rolle der FBI-Agentin Carice Starling wurde mit Jodie Foster programmatisch besetzt. Foster – vielfach prämierte Schauspielerin, Autorin, Yale-Absolventin, Lesbierin – wurde zum Zeitpunkt der Dreharbeiten als ein Filmstar wahrgenommen, der sich nicht darin erschöpft, bloße Projektionsfläche männlicher Regisseure und Produzenten zu sein. Hochbegabt, eigenständig und vielseitig talentiert stand Foster in den 80er und 90er Jahren in der Öffentlichkeit stellvertretend für alle Frauen, die Gleichrangigkeit mit Männern beanspruchen. Zudem hatte sie drei Jahre zuvor einen Oscar für die Hauptrolle in Angeklagt (The Accused) erhalten. Ein Film, der seine enorme Aufmerksamkeit nicht zuletzt der Tatsache verdankt hat, dass er ein lautstarkes feministisches Statement formuliert, was vor allem in der Rolle Jodie Fosters zum Ausdruck gebracht ist, die hier nach erlittener Vergewaltigung ihre männlichen Peiniger auf die Anklagebank bringt.

Die Selbstbehauptung der Frau ist auf der Metaebene auch das Thema von Das Schweigen der Lämmer. Diese Selbstbehauptung schließt eine gewisse Bissigkeit mit ein, glaubt man als Botschaft der innigen Gemeinschaft von Clarice Starling und Hannibal Lecter zu erkennen. Ihre Interessen sind bis zu einem gewissen Grad identisch: Er vernichtet ihre zudringlichsten Widersacher Miggs und Chilton und verhilft ihr zur Karriere. Dass seine Hilfe für die Ermittlungen in Anspruch genommen wird, führt schließlich zu seinem Ausbruch aus dem Gefängnis. Ihr beruflicher Erfolg ist gewissermaßen nur zu dem Preis möglich, dass das Monster sich befreit. Das Thema der Identität von Frau und Monster ist auch in der Figur des transsexuellen Mörders Buffalo Bill angelegt, der sich einen weiblichen Körper, in den sich sein monströses Ich hüllen soll, zu verschaffen sucht. Dass die Frau sich das Monströse zunutze machen müsse, ist die Losung des Films, die der Film nicht ausdrücklich nennt, sondern symbolisch verklausuliert formuliert und zwar durch die Interessenidentität einer karrierehungrigen jungen Frau und dem rücksichtslosesten, egoistischsten und aggressivsten Lebewesen, das die Welt kennt: dem Psychopathen. Auf der Metaebene formuliert der Film die Botschaft, Frauen sollten sich das Böse (zu-)trauen, wenn sie den gleichen Erfolg wie die Männer haben wollen: Frauen, die Karriere machen wollen, die sich in der Männerwelt durchsetzen wollen, müssten sich (zu-)trauen, bissig zu sein – sie müssen die Metamorphose von der angepassten Zuarbeiterin zur durchsetzungsfähigen Egoistin vollziehen.

Bibliographie (Auswahl)

Harris, Thomas: The Silence of the Lambs. St. Martin’s Press, New York 1988. Deutsch: Das Schweigen der Lämmer. Aus dem Amerikanischen von Marion Dill. Heyne-Verlag, München 1990. (Die Romanvorlage)
Rauchfleisch, Udo: Grausam – rücksichtslos – selbstbezogen – Das Schweigen der Lämmer. In: Stephan Doering, Heidi Möller (Hrsg.): Frankenstein und Belle de Jour – 30 Filmcharaktere und ihre psychischen Störungen. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2008, S. 260–267.
Schrey, Dominik: „If I die, you can eat me“ – Kannibalismus als Motiv im Spielfilm. In: Christian Hoffstadt et al. (Hrsg.): Der Fremdkörper. Bochum/Freiburg im Breisgau 2008, S. 551–570.
Staiger, Janet: Taboos and Totems. Cultural Meaning of The Silence of the Lambs. In: Sue Thornham (Hrsg.): Feminist Film Theory. A Reader. New York University Press, New York 1999, S. 220–223 (Eine kurze Analyse).

Abbildungsnachweis

Die Abbildungen stammen aus Das Schweigen der Lämmer, USA 1991, Produktion: Edward Saxon, Kenneth Utt, Ron Bozman. Regie: Jonathon Demme. Kamera: Tak Fujimoto. Drehbuch: Ted Tally. Orion Pictures Corporation. Copyright 2004 MGM Home Entertainment (Deutschland) GmbH. Stern Edition in Kooperation mit Der Club Bertelsmann.

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