Apocalypse Now

Apocalypse Now

Francis Ford Coppola, USA 1979

Der Film gehört zu einer Reihe von Vietnamfilmen, die in den späten 70er Jahren entstanden sind und die das amerikanische Trauma des Vietnamkriegs kritisch zu bearbeiten suchen; einerseits das Trauma der ersten militärischen Niederlage seit Bestehen der US-Streitkräfte, andererseits das Trauma, in einen brutalen und schwer zu rechtfertigenden Angriffskrieg verstrickt zu sein. Coming Home und The Deer Hunter waren kommerzielle und künstlerische Erfolge, die aber hinsichtlich ihrer Nachwirkung von Apocalypse Now bei weitem in den Schatten gestellt werden. Warum ist das so? Coming Home und The Deer Hunter sind minutiös gespielte und inszenierte Studien des Leids der Soldaten und ihrer Angehörigen. Die Schauspieler und die Regieführung kommen in ihrer perfekten Darstellung extremer menschlicher Empfindungen der Wirklichkeit so nah, dass der Zuschauer emotional erfasst wird. Beide Filme sind Meisterwerke des Realismus – und stehen eben deshalb in einem Wettbewerb mit der Realität. Und diesen Vergleich können sie nur verlieren, denn jede reale Schilderung des Kriegsleids ist immer noch erschütternder, bewegender und eindringlicher als es eine künstlerische Simulation jemals sein kann.

Das, was Francis Ford Coppola anders macht, ist der Verzicht auf eine realistische Schilderung zugunsten eines surreal anmutenden Gleichnisses über den Krieg und die Natur des Menschen. Während der ausufernden und von Improvisationen geprägten Dreharbeiten erschuf Coppola Bilder und Szenen von so großer allegorischer Kraft, dass sie als Kunstwerk für sich stehen und den Vergleich mit der Wirklichkeit aushalten, weil sie eben diesen Vergleich gar nicht suchen, sondern primär als Kunstwerk, als Symbol, als Allegorie fungieren. Die Reise auf dem Fluss gestaltet sich als bizarrer Comicstrip mit allerlei Anleihen an der Populärkultur der 60er Jahre. Der surreale Charakter der Szenen – sei es der Hubschrauberangriff mit Wagneruntermalung oder der Auftritt der Playboy-Bunnies im Dschungel, erst Recht die herausgeschnittene Episode der französischen Kolonialisten – wirkt, als sei er durch den Konsum psychoaktiver Drogen inspiriert worden. Tatsächlich ist der Konsum von leicht oder stark halluzinogenen Drogen ein durchgehendes Motiv des Films, das durch den Psychedelia-Soundtrack noch zusätzlich betont wird. Der Film über den Krieg ist angelegt als Flussfahrt mit immer absurder anmutenden Stationen, eine verrückte Reise, die schließlich mit der Ankunft in einer Hölle auf Erden endet: Der Krieg als Horrortrip.

Der Film beginnt mit dem Elitesoldaten Captain Benjamin L. Willard, verkörpert von Martin Sheen, der alkoholisiert, desillusioniert und anscheinend selbstmordgefährdet in seinem Hotelzimmer Amok läuft. Nach dieser Ouvertüre wird Willard zum Oberkommando bestellt. Dort erhält er den Auftrag, Colonel Walter E. Kurtz zu töten, ein hochdekorierter, aber offenbar dem Wahnsinn verfallener Offizier, der in Vietnam auf eigene Faust operiert, nach Kambodscha eingedrungen ist und seine eigene Armee aufgestellt hat. Das Patrouillenboot mit dem vielsagenden Namen `Street Gang´ und einer jungen, unerfahrenen Besatzung bringt Willard flussaufwärts nach Kambodscha. Das Kommando an Bord hat Chief Phillips, ein schwarzer Offizier, der Ressentiments gegenüber Willard, dem weißen Elitesoldaten hegt, für dessen geheime Mission er das Leben seiner Leute riskieren muss. Die Flussfahrt bildet den roten Faden des Films und vermittelt dem Zuschauer das Gefühl, auf ein unausweichliches Verhängnis zuzusteuern. An Bord liest Willard ein Dossier über Kurtz, der einer der vielversprechendsten Offiziere der US-Armee war, bis er sich auf eigenen Wunsch zu den kämpfenden Fronteinheiten versetzen ließ.

Um einen anderen Flusslauf zu erreichen, muss das Boot mit Hilfe einer Hubschraubereinheit umgesetzt werden. Der Anführer der Einheit, Lt. Colonel Bill Kilgore – Robert Duval als Haudegen mit Cowboyhut der US-Kaverlerie und einigen der berühmtesten One-Liner der Filmgeschichte –, weiß nichts von einem entsprechenden Auftrag. Dann erkennt einer seiner Soldaten den professionellen Surfer Lance B. Johnson unter der Besatzung der `Street Gang´. Bei einem abendliches Barbeque am Strand erklärt ihm einer seiner Soldaten, dass es dort, wo die `Street Gang´ übersetzen muss, eine surftaugliche Brandung gibt. Daraufhin befiehlt der surfbegeisterte Kilgore eine nordvietnamesische Stellung anzugreifen. Zur psychologischen Kriegsführung hat er an den Hubschraubern seiner Einheit Außenlautsprecher angebracht, aus denen zur Attacke Wagners Walkürenritt donnert, während aus den Raketenwerfern Tod und Vernichtung über den Gegner gebracht wird. Um in Ruhe surfen zu können, befiehlt er schließlich einen Napalmangriff auf einen Dschungelabschnitt, in dem er feindliche Artillerie vermutet.

Es geht flussaufwärts den Nung River hinauf – ein fiktiver Fluss, der an den Mekong erinnert. Auch die nächste Station handelt von dem Versuch, den Soldaten das Leben im Dschungel mit den Verlockungen der Heimat zu versüßen und offenbart wieder eine skurrile Absurdität. Das Playboy Magazine hat drei Playmates zur Truppenunterhaltung ausgesandt. Doch die Show eskaliert, weil die sexuell ausgehungerten Soldaten die Bühne stürmen. Die bizarre Dekadenz der Szene verstärkt sich durch die Kontrastierung mit der anschließenden Begegnung mit einem Sampan voller vietnamesischer Zivilisten weiter flussaufwärts. Willard drängt darauf, das Boot passieren zu lassen, aber der Kapitän der `Street Gang´ will seine Autorität unter Beweis stellen und ordnet eine Durchsuchung an. Aufgrund eines Missverständnisses töten sie die gesamte Besatzung, obwohl sie unbewaffnet war. Nur eine Frau überlebt schwerverletzt, doch Willard erschießt auch sie, um keine weitere Zeit zu verlieren.

Schließlich passieren sie die Do-Lung-Brücke, den letzten Außenposten der Amerikaner vor Kambodscha. Der Stützpunkt ist in absoluter Anarchie versunken. Willard erhält Post vom Hauptquartier und erfährt, dass vor ihm bereits Captain Richard M. Colby mit dem gleichen Auftrag ausgesandt wurde. Doch anstatt Kurtz zu töten, schloss er sich ihm an. Willard wirft das Dossier Seite für Seite in den Fluss, der von Kurtz' Spähern kontrolliert wird. Wenig später wird das Boot mit Pfeilen beschossen. Chief Phillips wird von einem Speer durchbohrt, während er stirbt, versucht er vergeblich, Willard zu töten, den er für den verhängnisvollen Auftrag verantwortlich macht.

Kurz danach erreichen sie das Lager von Kurtz, das zu großen Teilen von primitiven Eingeborenen bevölkert ist. Ein amerikanischer Photojournalist heißt sie willkommen, der sich als glühender Verehrer von Colonel Kurtz erweist. Bevor Willard sich das Lager anschaut, gibt er den Befehl für einen Luftangriff, sollte er nicht zurückkehren. Im Lager liegen überall Leichen und abgeschlagene Köpfe. Er begegnet einem amerikanischen Soldaten, der mit einer Eingeborenen zusammenlebt, an seinem Sturmgewehr hängen Skalps. Willard erkennt in ihm Captain Colby, seinen Vorgänger. Willard wird überwältigt und gefoltert. Der Soldat, der den Luftangriff anfordern sollte, wird enthauptet. Schließlich wird Willard in einem alten Khmertempel Colonel Kurtz vorgeführt, verkörpert von Marlon Brando in einer seiner ikonischen Rollen. Das Verhör durch Kurtz entwickelt sich immer mehr in Richtung eines Bekehrungsversuchs: Kurtz möchte Willard zu seinem Testamentsvollstrecker machen, der seinem Sohn erklärt, warum er so gehandelt hat. Dabei erhält Willard nach und nach immer mehr Bewegungsfreiheit, parallel signalisiert Kurtz ihm das Einverständnis in seine Tötung. Als die Montagnards einen Wasserbüffel einer rituellen Opferschlachtung zuführen, tötet Willard Kurtz auf die gleiche Weise mit einer Machete. Der sterbende Kurtz spricht die Worte aus der Romanvorlage: „Das Grauen, das Grauen.“ Willard tritt aus dem Tempel und legt die Machete nieder, woraufhin auch die Truppen von Kurtz ihre Waffen niederlegen. Gemeinsam mit Lance, dem einzigen Überlebenden der `Street Gang´, verlässt er das Lager.

Captain Colby inmitten seiner neuen Familie. Wie ein Cowboy, der inzwischen bei den Indianern lebt.
Begegnung mit dem Vorgänger. Colby mit Kriegsbemalung und Skalps am Sturmgewehr, die Hände vom Morden blutverschmiert. Der Soldat hat der Zivilisation abgeschworen, ist zu einem Wilden geworden.

Am Anfang steht bereits der Wahnsinn. Der emotional ausufernde Alkoholexzess Captain Willards ist untermalt von „The End“ von den Doors, der gleichen Musik, die auch zum verrückten und blutigen Finale erklingt. Der Offizier tobt scheinbar vollkommen entäußert allein durch sein Hotelzimmer – Martin Sheen verlor in dieser Szene tatsächlich die Beherrschung über sich selbst. Damit gibt der Film in der ersten Szene sowohl in inhaltlicher wie auch in formaler Hinsicht die Richtung vor: Inhaltlich bedeutsam ist, dass Captain Willard, der dem Wahnsinn Einhalt gebieten soll, diesem selbst verfallen scheint. Als Vertreter des Systems, der in geheimer Mission Aufträge des US-Militärs ausführt, die von höchster Stelle angeordnet werden, ist er, lange bevor er Kurtz trifft, ein nervliches Wrack, der an der Verkommenheit des Systems bereits hinreichend Schaden genommen hat. In formeller Hinsicht ist die Szene beispielhaft, weil das Gezeigte nicht nur gespielt wird, sondern sich wirklich ereignet und von der Kamera nur noch dokumentiert werden muss. Coppola hat immer wieder reale Situationen simuliert, die zur Illustration eines bestimmten Handlungsmotivs passend erschienen: Die seelische und körperliche Tour de Force von Martin Sheen, der ausgeflippte Nonkonformismus von Dennis Hopper, die Riten des primitiven Ifugaovolkes.

Bereits am Anfang steht der Wahnsinn: Captain Willards emotionaler Zusammenbruch im Hotelzimmer in Saigon. Martin Sheens Entäußerung in der Szene war echt.

Indirekte Vorlage des Films war Joseph Conrads Herz der Finsternis. Wie bei Conrad wird die Fahrt flussaufwärts in den Dschungel zu einer Reise in das Reich archaischer Grausamkeit. Und insofern es sich um eine Reise zu primitiven Kulturen handelt, ist es eine Reise zu den eigenen Ursprüngen, die Willard alias Marlow als Vertreter der Zivilisation hinter sich gelassen glaubt. Doch diese Zivilisation trägt aufgrund der ihr inhärenten Verdorbenheit die Gewalt, das Böse in sich. Es sind die Niedrigkeit kolonialistischer Ausbeutung bzw. imperialistischer Machtansprüche, die Marlow bzw. Willard auf ihrer Fahrt in den Dschungel immer wieder vor Augen geführt werden, die sie an der Überlegenheit der Zivilisation zweifeln lassen und sie öffnen für die Haltung von Kurtz, der der Zivilisation abgeschworen hat zugunsten einer primitiv-atavistischen Gewaltlust.


Coppola ließ Tempelkulissen nach dem Vorbild der Khmertempel in Angkor errichten, die von einem Taifun wieder zerstört wurden. Der Wiederaufbau war einer Gründe für die vielen Verzögerungen bei den Dreharbeiten. Inwiefern in der Kinofassung Angkor eine Rolle spielen sollte, ist fragwürdig. Zwar ist Angkor über einen Nebenarm des Mekong erreichbar, liegt aber von Vietnam weit entfernt im Landesinneren Kambodschas nahe der thailändischen Grenze. Im Film tauchen die Kulissen am Ende auf. Kurtz lebt in einem versunkenen Tempel, ähnlich jenen in Angkor. Es müsste sich also um eine hinduistische oder buddhistische Anlage handeln. Nimmt man Angkor als Vorbild, dürfte das mit dem Dschungel verschmolzene Gebäude ca. 1000 Jahre alt sein. Genau das soll das Ambiente auch suggerieren: Die Absorption des Soldaten, des modernen Kriegers von uralten Kulten. In der Höhle des Warlords liegt neben der Bibel ein Exemplar von James Frazers Golden Bough, ein Schlüsselwerk über Magie und archaische Riten im Frühstadium unserer Zivilisation und Bewusstseinsbildung. Daneben liegt Jessie Laidley Westons From Ritual to Romance. Ebenfalls ein Werk, dessen Ziel die Analyse heidnischer Einflüsse ist, die sich in christliche Kulte eingewoben haben und diesen teilweise zugrunde liegen. Die Durchflutung unseres Bewusstseins mit atavistischen Zügen, die unter gegebenen Umständen, insbesondere im Krieg entfesselt werden und unsere Seele in Besitz nehmen, ist ein zentrales Motiv des Films. Sinnfällig wird dies in der vom Dschungel überwucherten indianisch anmutenden Khmerarchitektur zum Ausdruck gebracht. Dass die hinduistisch-buddhistische Khmer-Kultur hier als Sinnbild für das Wilde und Primitive herhalten muss, mag insbesondere unter archäologischen Gesichtspunkten befremdlich anmuten. Immerhin hinterließen die Khmer der Menschheit die größte Tempelstadt der Welt. Dennoch eignet es sich als Bild einer überwunden geglaubten Menschheitsepoche. Die Khmer-Zivilisation in Angkor hat in ihrer Formensprache archaische Züge. Entsprechend war die Khmerkultur noch ganz primitiver Ritualmagie verhaftet. Und kaum eine andere Kultur ist in unserem Bewusstsein so sehr mit dem Dschungel verwoben. Nach der allmählichen Aufgabe im 16. und 17. Jahrhundert wurde Angkor wieder vom Dschungel vereinnahmt. Von dieser Vereinnahmung handelt der Film: Im Krieg wird der zivilisatorische Firnis rissig und die blinde Gewalt des Natürlichen, des Dschungels, bricht hervor.

Kurtz' Nachtlektüre: James Frazers `The Golden Bough´ und Jessie Westons `From Ritual to Romance´. Schlüsselwerke über archaische Riten im Frühstadium unserer Zivilisation.
Am Anfang und am Ende zeigt der Film die Überblendung des Kopfes von Willard mit dem steinernen Götzenkopf. Es ist die zentrale Aussage: Im Krieg droht der Soldat vom Primitiven, Unzivilisierten vereinnahmt zu werden.

Um diese Metamorphose des Dschungelkriegers, diese Indianisierung des Soldaten im Krieg zu illustrieren, wird das Setting, je weiter es flussaufwärts geht, immer archaischer. Gegen jede historische Wahrheit – vielleicht angelehnt an Werner Herzogs Aguirre, der Zorn Gottes über die Suche spanischer Eroberer nach El Dorado im südamerikanischen Dschungel – wird das Patrouillenboot mit Pfeilen und Speeren angegriffen. Als die Überlebenden bei Kurtz' Hauptquartier ankommen, finden sie dort Angehörige eines Naturvolkes vor: Wie die Conquistadores bei der Begegnung mit den Indianern. Dazu ließ Coppola Angehörige der Ifugaos, ein primitives Bergvolk aus dem Norden der Philippinen, als Figurenstaffage ans Set bringen. Ihre Tänze und Riten, vor allem die Opferung des Wasserbüffels, die parallelmontiert wird mit der Tötung von Kurtz, sind die sinnfällige Illustrierung dessen, was sich Coppola zufolge im Krieg ereignet: Die Regression des Menschen, der zum primitiven Barbaren wird.

Wie schon bei seinem großen Erfolg vom Anfang des Jahrzehnts Der Pate gelang es Coppola, mit Apocalypse Now ikonische Momente des Kinos zu erschaffen. Bilder, Szenen, Dialoge, die sich für immer in das kollektive Gedächtnis der Kinogänger eingegraben haben und seither immer wieder zitiert werden. Der mephistophelische Dialog zwischen Captain Willard und Colonel Kurtz im letzten Viertel des Films gehört wohl zu den bekanntesten Textzeilen der Filmgeschichte. Den Wortlaut des Verhörs können Cineasten auswendig mitsprechen:
„Wo stammen Sie her, Willard?“
„Aus Ohio, Sir.“
„Sind Sie dort geboren?“
„Ja, Sir.“
„Wo genau?“
„Toledo, Sir.“
„Wie weit ist das vom Fluss entfernt?“
„Vom Ohio, Sir?“
In der Ambivalenz des Flusses schimmert durch, wie weit die Männer von der Heimat weg sind, denn bei Willard und beim Zuschauer erweckt die Frage nach der Entfernung vom Fluss den Eindruck als meine er den Nung River, an dessen Ufern Kurz wohnt. Die Herkunft aus Toledo in Ohio ist eine Anspielung auf das kastilische Toledo, eines der Zentren der spanischen Inquisition. Nicht die einzige religiöse Anspielung. Der Code für den Bombenangriff auf das Lager von Kurtz lautet „Allmighty“. Die Henker von Kurtz tragen ein religiöses Gewand. Doch der inquisitorische Vollstrecker ist, nachdem er sich in die Hölle gewagt hat, ein Gefangener des Teufels. Und nicht der Inquisitor verhört den Hexenmeister, sondern umgekehrt. Der Inquisitor sitzt dem Teufel persönlich gegenüber und muss dessen moralische Überlegenheit anerkennen: Kurtz, der archaische Grausamkeit zu einem selbstzweckhaften Kult, der sich an der ästhetischen Faszination des Grauens weidet, stilisiert hat, kann mit einiger Berechtigung für sich in Anspruch nehmen, dass die zivilisierte Form des Tötens Heuchelei ist. Sie will Gewalt und Totschlag nur als vorübergehendes und unter den Ausnahmebedingungen des Krieges legitimierbares Mittel verstanden wissen, trägt aber in sich die Neigung, aus dem Moralkorsett auszubrechen und sich ganz und gar dem blutigen Exzess des Mordens zu überlassen. Aus der zielgerichteten Gewaltausübung zur Durchsetzung politisch-moralischer Ziele wird in der Praxis ein sich um seiner selbst willen verabsolutierender Blutrausch.

Diesen nicht etwa einzudämmen und zu zivilisieren, sondern zur obersten Maxime eigenen und kollektiven Handelns zu erheben, ist das Vermächtnis des Soldaten Kurtz: „...man muss sich das Grauen zum Freund machen. Das Grauen und der moralische Terror sind deine Freunde. Falls es nicht so ist, sind sie deine gefürchteten Feinde.“ Jeder Politiker würde laut widersprechen, doch jeder Soldat würde stumm nicken: Kurtz analogisiert die für politisch-moralische Zwecke eingesetzte Gewalt mit dem Grauen an sich. Und der von dem Grauen des Krieges traumatisierte Kurtz hat sich diesem ganz und gar unterworfen, sich mit ihm identifiziert, ist selbst zum personifizierten Grauen geworden, nicht zuletzt um dessen Schrecken weniger zu fürchten. Um sich das Grauen zum Freund zu machen, hat er seine gespenstische Armee geformt, geformt aus Männern, „die... imstande sind, ohne Hemmungen ihre ursprünglichen Instinkte einzusetzen, um zu töten. Ohne Gefühl, ohne Leidenschaft. Vor allem ohne Strafgericht, ohne Strafgericht. Denn es ist das Strafgericht, was uns besiegt.“

Die Soldaten im Vietnamkrieg kämpfen für edle Ziele: Die einen für den Kommunismus, die klassenlose Gesellschaft, in der keiner über den anderen herrscht, das Paradies auf Erden; für die nationale Selbstbestimmung, die Zurückweisung imperialistischer Ansprüche; für die Freunde, die Familie. Die anderen kämpfen für die Freiheit, in der das Individuum sich nach seinem Willen entfalten darf, ohne sich einem Kollektiv unterwerfen zu müssen; für den Stopp eines von Moskau und Peking unterstützten aggressiven Expansionsdrangs einer totalitären Ideologie, die die halbe Welt bereits unterworfen hat. Und zur Verwirklichung dieser Ziele, die Gleichheit und Freiheit und Friedfertigkeit im Blick haben, werden die Soldaten zu Killern, zu Folterknechten und Vergewaltigern. Sie alle leiden an der Schizophrenie des Krieges, die jeden Soldaten kraft der simplen Gewalt des Kampfes in einen existenziellen Zwiespalt stürzt. Von diesem Zwiespalt befreit Kurtz die Krieger und errichtet einen selbstzweckhaften Gewalt- und Todeskult, in dem alle soldatisch-kriegerischen Tugenden nicht als vorübergehendes Mittel zum Zweck dosiert eingesetzt werden, sondern sich in einem uferlosen Rausch austoben dürfen. Darum übt er unter den Kämpfenden diese Faszination aus und sie alle folgen ihm in seine gespenstische Dschungelarmee: Südvietnamesen, Vietcong, US-Soldaten, primitive Montagnards. Sie alle vereint die Maxime des Tötens und der Grausamkeit, der sie sich nun komplett unterwerfen, ohne Gewissenstrübung, „ohne Strafgericht“.

Mit Der Pate und Apocalypse Now gelangen Coppola zwei der bedeutendsten und meist zitierten Filme der Kinogeschichte. Leider stellt Apocalypse Now auch das letzte große Werk des begnadeten Regisseurs dar. Wie viele altersschwache Künstler wandte auch Coppola sich im fortgeschrittenen Stadium seiner Karriere erneut seinen gelungensten Werken zu und drehte den mediokren dritten Teil des Paten und brachte die Redux- und Final Cut-Version von Apocalypse Now heraus. Einen Gefallen tat er sich und dem Film damit sicher nicht. Der Conradische Charakter des Films, der im Wesentlichen durch die auf ein unentrinnbar wirkendes Verhängnis zusteuernde Flussfahrt bewirkt wird, geht durch die längere Verweildauer an anderen Schauplätzen jenseits des Flusses verloren. Auch kommt allerlei Landserromantik zum Zuge und zerstört die alptraumhafte, unheimliche Atmosphäre, die sich durch den Film zieht. Am Überflüssigsten ist jedoch die Szene, in der Marlon Brando als Colonel Kurtz bei Tageslicht zu sehen ist. Damit zerstört Coppola seinen genialen Kunstgriff der Originalfassung, in der Kurtz immer nur in der Dunkelheit zu sehen ist, aus der sein Kopf in caravaggeskem Chiaroscuro herausragt und in der er wieder verschwindet. Auch wenn dies nicht zuletzt der Notwendigkeit geschuldet war, das Übergewicht Marlon Brandos zu kaschieren, das für einen im Krieg kämpfenden Green Beret wenig passend ist, so hatte es den für die Charakterzeichnung der Figur passenden Effekt, den dämonischen Kurtz als leibhaftiges Herz der Finsternis mit der Nacht und dem Dschungel optisch und symbolisch zu verschmelzen. Und in dieser Verschmelzung liegt einer der Gründe für die Größe des Films: Kurtz ist eben nicht einfach ein geisteskranker Warlord, der dank seines Charismas Gefolgsleute um sich gescharrt hat; er ist strenggenommen keine identifizierbare Person, sondern ein Phänomen. Er ist überall, er lauert in den Schatten: Kurtz ist das Böse des Krieges, die Gefahr des Dschungels, die Nacht in uns.

Marlon Brando in caravaggeskem Chiaroscuro. Kurtz als leibhaftiges Herz der Finsternis.

Bibliographie (Auswahl)

Adair, Gilbert: Hollywood’s Vietnam. From the “Green Berets” to “Apocalypse Now”. Proteus Books, New York 1981.
Coppola, Eleanor: Vielleicht bin ich zu nah. Notizen bei der Entstehung von Apocalypse Now. Rowohlt, Reinbek 1987, (englisch: Notes On the Making of Apocalypse Now).
Debus, Ralf : In einen Sumpf gezogen. Psychologie der Filmwirkung am Beispiel von „Apokalypse Now“. In: Medium, Band 10, Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, 1980
Faulstich, Werner: Didaktik des Grauens: Eine Interpretation von Francis Ford Coppolas ‘Apocalyps Now’ (1981). In Gunter Grimm, Werner Faulstich, Peter Kuon (Hrsg.): Apokalypse: Weltuntergangsvisionen in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Materialien. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1986, S. 246–267.
Krause, Peter; Schwelling, Birgit: Filme als Orte kollektiver Erinnerung. Aspekte der Auseinandersetzung mit der Erfahrung des Vietnamkriegs in „Apocalypse Now“. in: Michael Strübel (Hrsg.): Film und Krieg. Die Inszenierung von Politik zwischen Apologetik und Apokalypse. Leske + Budrich, Opladen 2002, S. 93–108.
Menne, Jeff: Francis Ford Coppola. University of Illinois Press, Urbana 2014.

Abbildungsnachweis

Die Abbildungen stammen aus Apokalypse Now Redux, USA 1979 / 2001, American Zoetrope. United Artists. Regie: Francis Ford Coppola. Kamera: Vittorio Storaro. Drehbuch: Francis Ford Coppola, John Milius. Copyright 2002 Universum Film GmbH & Co. KG. BMG Company. A Unit of RTL Group.

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